Sunday, July 13, 2008

Wenn ich bei Frau Fludernik besser aufgepasst hätte…

… könnte ich hier jetzt Qualifizierteres verbreiten, aber was soll's. Ich habe eine gesunde Skepsis der Narratologie gegenüber, trotzdem trieb ich mich schon auf der einen oder anderen Konferenz mit dem Wort im Titel herum und will nun ein paar Bemerkungen zu diesem Artikel aus der Internet-Frauenbeilage der österreichischen Tageszeitung "Der Standard" machen (und bevor jemand fragt, ja, ich finde "die.standard" auch ein wenig blöd).

Wie auch immer, es geht hier um voice-over in Fernsehserien mit weiblicher Zielgruppe. Also, Carrie in "Sex and the City", die tote Ehefrau in "Desperate Housewives" und so weiter. Die Autorin findet das nervig, was interessanterweise hauptsächlich daran liegt, dass die Erzählerin nicht den Wissensstand der Zuschauerin teilt. Also entweder, sie weiß mehr ("Einmal gibt es die allwissende Erzählerin, die quasi aus der Zukunft, aus einer anderen Sphäre, die Zusammenhänge verdichtet und immer diesen leidigen Informationsvorsprung hat, den sie uns nur zitzerlweise mitteilt." Man bemerke den schönen Austriazismus für "nach und nach"!) oder weniger ("Dann sind da die ErzählerInnen, die mitten in der Geschichte stecken, und uns ihre innerlichen Bestandaufnahmen nicht im Gespräch mit anderen Figuren mitteilen, und auch nicht die direkte Ansprache [wie Malcolm in the Middle (2000-2006)] wählen. Die wissen nicht mehr als wir, eher ist das Gegenteil der Fall. Auch nervig.").

Es ist besonders ihr erstes Beispiel, das ich problematisch finde: die Erzählerin – und man verzeihe mir das Abgleiten in englische Terminologie – ist "omniscient" und zu einem gewissen Grade auch "heterodiegetic", also auf einer anderen Ebene als die Charaktere auf der story-Ebene, aber trotzdem "overt" and "embodied", also nicht in Form von Jahns "filmic compositional device". Aber bei den im Artikel genannten Beispielen ist das eben nicht der Fall, denn die Erzählerinnen sind sehr wohl "homodiegetic", wobei in "Sex and the City" nie ganz klar wird, warum Carrie so genau weiß, was gerade "across the city" passiert. Da könnte man aber argumentieren, dass die voice-over Carrie ein "narrating I" ist, das zeitlich später angesiedelt ist, als Carrie, das "experiencing I", und nach diversen extranarrativen Gesprächen mit den anderen, das alles rekonstruieren kann. Und ich glaube, dass die meisten Beispiele so aufgelöst werden können, es sei denn es handelt sich um hypernarrative Situationen, also wenn z.B. die Simpsons sich Halloweengeschichten erzählen. Wobei letzteres Beispiel auch nicht so unkomplex ist, da in den Geschichten die Simpsons ja wieder vorkommen als eine quasi doppelt-narrative Version ihrer selbst. Da die Halloween-Episoden mich aber immer nerven, will ich nicht weiter darüber nachdenken.

Das zweite Beispiel ist ein ganz klarer Fall einer homodiegetischen Erzählerfigur in der realistischen Tradition, also mit eingeschränktem Wissen (weil nicht gottgleich oder tot). Dass das eine gute literarische Tradition hat, muss man nicht extra sagen. Aber vielleicht ist das für die Autorin Ärgerliche das, dass hier eigentlich "first-person narrative" und "authorial narrative" vermischt werden. Mainstream Filme und Serien würde ich nämlich als "covert authorial" sehen, also mit einer unsichtbaren und nicht personifizierten, aber alles wissenden und lenkenden Erzählerinstanz ("ich ohne Leib" nennt das Stanzel, glaube ich). Da ist es dann natürlich überflüssig, eine dazwischen quatschende Figur zu haben, deren Synchronstimme vielleicht auch noch suboptimal ist. (Wenn ich letzteres bedenke, frage ich mich gerade, ob die oh so trendigen KollegInnen, die Film und Narratologie machen, eigentlich auch berücksichtigen, in wie fern Stimme und Aussehen der Schauspieler usw. die Wahrnehmung eines Filmes als Erzähltext beeinflussen. Aber wahrscheinlich schon…) Ist uns oder dem gemeinen Fernsehzuseher also eine bequeme, nicht gebrochene Erzählsituation am liebsten? Oder ist das vom Genre abhängig? Ist die direkte Anrede in "Malcolm in the Middle" (oder auch die Verfremdungseffekte in "Scrubs") akzeptabel, weil sich um eine Serie handelt, deren Zielgruppe sich als postmodern gewandt und ironisch sehen würde? Und sind "Frauenserien" weniger "edgy" und ist deshalb so ein Stilmittel fehl am Platz?

Der gender-Aspekt wird in dem Artikel natürlich auch angesprochen und würde wahrscheinlich am meisten Stoff für Diskussion bieten. Es gibt einiges zu gender und Narratologie, aber davon kenne ich zu wenig, um darüber etwas sagen zu können. Richtig ist, dass sich populäre Frauenliteratur, also chick lit, sich durchwegs der "first-person narrative" bedient, gerne auch in der Form des Brief- oder Tagebuchromans. Ob das eine besondere Nähe zur Leserin herstellt, weiß ich nicht, da ich annehme das andere frauenspezifische Genres (romances und diese unsäglichen historischen Romane, zum Beispiel) sehr wohl auktorial sind. Ich bin mir auch nicht sicher, ob dadurch besondere Authentizität hervorgerufen wird. Also in dem Sinne, dass man vergisst, dass das 'nur' eine Romanfigur ist oder man sich wie bei einem gemütlichen Plausch von Frau zu Frau fühlt. Welches Geschlecht man einem Erzähler, "implied author" oder gar echtem Autor zuordnet ist nämlich ein weites Feld. Zum Beispiel hatte das Lesepublikum kein Problem, Charlotte Brontës "Jane Eyre"(von der weiblichen Titelfigur erzählt) als Werk eines Mannes zu akzeptieren, während hingegen das auktorial erzählte "Shirley" angeblich schnell als Werk einer Frau identifiziert wurde. ("Shirley" würde in seiner ganzen gloriosen, chaotischen Heteroglossie einen eigenen Eintrag verdienen…)

Also, wie gesagt, ich kenne mich alles in allem zu wenig aus in dem Gebiet. Wenn der geneigte Leser aber Ideen und Beispiele hat, würde ich mich freuen, davon zu hören.

3 comments:

Anonymous said...

Ha, ich habe fast alles verstanden - und beim Rest weiß ich wo er steht. :P Finde diese Aspekte aber höchst interessant, ich habe mich bei Carrie auch immer gefragt, woher sie so genau weiß was bei den anderen so passiert, wenn sie doch scheinbar in "Echtzeit" erzählt.

Demonic Tutor said...

Carrie erzählt doch nicht in Echtzeit (was auch des Rätsels Lösung ist)! Die verfasst doch ihre Kolumne, retrospektiv. Das wird dann zwar manchmal so dazwischengeschnitten, findet aber definitv nach den Ereignissen der Episode statt(wär ja sonst auch langweilig, wenn nach den Geschehnissen immer noch die Zusammenfassung hinterhergeschoben würde).

Anonymous said...

Ich finde das keinen Austriazismus, sondern ein Dialektwort (zitzerlweise). Da dies nur ein Kommentar ist, kann ich es leider nicht begründen.